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Fortschritte und Innovationen auf dem AOCN 2021

Neurodiem bietet Ihnen Highlights der Präsentationen und Expertenmeinungen vom Asiatisch-Ozeanischen Kongress für Neurologie (Asian-Oceanian Congress of Neurology, AOCN), eine kombinierte virtuelle und Live-Veranstaltung, die vom 1.-4. April 2021 in Taipei, Taiwan, durchgeführt wurde. Erfahren Sie mehr über die wichtigsten Fortschritte in den Bereichen Demenz, Kopfschmerzen und anderen neurologischen Themen. Klicken Sie auf die Links, um Zusammenfassungen der täglichen Berichterstattung von Neurodiem zu sehen.

 

Zwei Vorträge einer inspirierenden Eröffnungssitzung boten einen Ausblick in die Zukunft, sagten Innovationen in der Versorgung voraus und hoben Herausforderungen für Neurologen hervor. Prof. Raad Shakir (ehem. Präsident der World Federation of Neurology und Professor für Neurologie am Imperial College, London, UK) stellte seine Sicht auf die Neurologie des 21. Jahrhunderts dar und merkte an, dass sich die klinische Praxis weiterhin grundlegend verändern wird.

„Fortschritte bei genetischen Studien und Biomarkern werden sowohl die Diagnose als auch die Behandlung einer Vielzahl von Erkrankungen verändern“, sagte er und fügte hinzu, dass „innovative Forschung unter Verwendung von Hirnorganoiden – In-vitro-Organe, die die Hirnaktivität nachahmen – wichtige Entwicklungen im Verständnis und in der Versorgung erbringen könnte“.

 

„Genexpressionsbefunde könnten zu diagnostischen Tests

und zu völlig anderen Therapien führen, als die derzeit verwendeten“
Prof. Raad Shakir

 

Im Anschluss daran betonte Prof. Beomseok Jeon (Präsident der Asiatisch-Ozeanischen Gesellschaft für Neurologie und Ärztlicher Direktor des Zentrums für Bewegungsstörungen am Seoul National University Hospital, Südkorea), dass die klinische Beurteilung weiterhin von entscheidender Bedeutung sein wird, um sicherzustellen, dass Tests und Therapien angemessen eingesetzt werden.

Sein Vortrag beinhaltete die Diskussion von Daten über die Verwendung von Antikörper-Panels bei Bewegungsstörungen und kam zu dem Schluss, dass „Ärzte sich darüber bewusst sein sollten, dass beim Fehlen anderer Merkmale einer Autoimmunenzephalitis eine Antikörperpositivität von zweifelhafter klinischer Bedeutung ist, was die Wichtigkeit des klinischen Urteils hervorhebt“.

Demenz: Highlights des AOCN

Auf dem AOCN 2021 wurden mehrere wichtige neue Erkenntnisse zur Vorhersage und Erkennung von kognitivem Rückgang und Demenz vorgestellt. Zunächst berichteten Spezialisten über ein Vorhersagemodell zur Identifizierung von Demenzpatienten im Frühstadium, die ein höheres Risiko für einen raschen kognitiven Rückgang aufweisen.

Sie verwendeten dazu eine Trajektorienmodellierungstechnik unter Verwendung der Daten von 204 Patienten mit Alzheimer-Krankheit im Frühstadium und 23 Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung, um zwei Gruppen zu identifizieren: Personen mit schnellem Rückgang und solche mit langsamem Rückgang. Es wurden drei signifikante Prädiktoren für die Rate des Rückgangs identifiziert (siehe Tabelle).

 

Modellstudie zur Vorhersage des kognitiven Rückgangs

 

Zwei Gruppen wurden definiert:

  • Schneller Rückgang: mittlere Abnahme des Scores im Mini-Mental-Status-Test (Mini-Mental Status Examination, MMSE) um 5,4 Punkte innerhalb von 2 Jahren
  • Langsamer Rückgang: mittlere Abnahme des MMSE-Scores um 1,2 Punkte innerhalb von 2 Jahren

 

Signifikante Faktoren im Modell zur Klassifizierung der Abnahmerate:

  • Baseline MMSE-Score
  • Gesamt-Score der instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens (Instrumental Activities of Daily Living, IADL)
  • Apolipoprotein E ε4 (ApoE-ε4)-Status

 

Leistung:

  • Fläche unter der Kurve (Area Under the Curve, AUC): 85,3 %
  • Sensitivität: 79,0 %
  • Spezifität: 73,1 %
  • Prädiktive Genauigkeit: 75,4 %

 

 

Bei der Präsentation der Daten sagte Dr. Yung-Shuan Lin (Neurologisches Institut, Taipei Veterans General Hospital, Taiwan): „Wir schlagen ein Vorhersagemodell vor, das nur aus drei Parametern besteht, nämlich dem MMSE-Baseline-Score, dem IADL-Gesamt-Score und dem ApoE-ε4-Status. Diese sind leicht zu verstehen und in der klinischen Praxis einfach anwendbar. Wir hoffen, dass dies Klinikern und Patienten bei der weiteren Planung der Gesundheitsversorgung helfen kann.“

Inzwischen hat eine Studie zur funktionellen Bildgebung neues Licht auf frühe Veränderungen der Gehirnaktivität und -konnektivität während des subjektiven kognitiven Rückgangs (Subjective Cognitive Decline, SCD) geworfen. Dr. Yi-Chia Wei (Chang Gung Memorial Hospital, Keelung, Taiwan) berichtete über Ergebnisse der funktionellen MRT im Ruhezustand von 46 SCD-Patienten und 49 Kontrollpersonen, die zeigen, dass es möglich ist, frühe Veränderungen der intrinsischen Hirnaktivität bei SCD zu erkennen.

Dr. Wei sagte: „Klinische Korrelationen der lokalen Konnektivität zeigen, dass subjektive kognitive Beschwerden positiv mit der lokalen dynamischen Konnektivität der visuellen, auditiven und Aufmerksamkeitsnetzwerke korrelieren. Angst ist positiv mit dem ventralen Aufmerksamkeitsnetzwerk korreliert.“ Solche Erkenntnisse könnten dazu beitragen, frühe Biomarker zu identifizieren, die in der zukünftigen Praxis nützlich sind.

Für künstliche Intelligenz (KI) als Hilfsmittel für die Demenzversorgung ist die Zukunft jetzt gekommen, sagte Prof. Li-Chen Fu (Zentrum für künstliche Intelligenz und fortgeschrittene Robotik der Nationalen Universität Taiwan (National Taiwan University Center of Artificial Intelligence and Advanced Robotics, Taipei, Taiwan)). Er überprüfte einige Fortschritte bei KI-basierten Instrumenten, die in der Versorgung älterer Patienten und von Demenzkranken Anwendung finden können, einschließlich:

  • Drahtlose Hausüberwachung mit Umgebungs- und tragbaren Sensoren
  • Virtuelle Begleiter zur Bekämpfung von Einsamkeit und zur Überwachung von Aktivität und Verhalten
  • Demenz-Screening unter Verwendung von Deep-Learning-Ansätzen zur Erkennung von Veränderungen in Bewegungs- und Sprachmustern, die frühe Anzeichen für eine Funktionsbeeinträchtigung sein können

Künstliche Intelligenz kann in den Versorgungspfad

älterer Menschen integriert werden.“

Prof. Li-Chen Fu

 

Prof. Fu sagte: „KI kann in den Versorgungspfad älterer Menschen integriert werden, von der intelligenten Überwachung biometrischer Daten bis zur Frühdiagnose von Erkrankungen. Individualisierte chronische Versorgung in Kombination mit KI ermöglicht eine proaktive Risiko- und Krankheitsvorhersage, was bei rechtzeitiger Intervention die Lebensqualität älterer Patienten verbessert.“

Eine weitere Form von innovativer Technologie, die bei Demenz eingesetzt wird, wurde auf der Konferenz vorgestellt – ein Gedächtnistest mit Nutzung von virtueller Realität (VR). Die Neurologen erstellten und testeten eine fotorealistische virtuelle Wohnzimmerumgebung, in der VR-Benutzer sehen konnten, wie Gegenstände versteckt wurden, und später in der Lage waren, den Raum nach den Gegenständen zu durchsuchen (zum Beispiel durch Öffnen von Möbeltüren). Die Teilnehmer – 16 mit Alzheimer-Krankheit (Alzheimer’s Disease, AD), 15 mit amnestischer leichter kognitiver Beeinträchtigung (amnestic Mild Cognitive Impairment, aMCI) und 15 Kontrollpersonen – wurden einer Reihe von fünf verschiedenen Gedächtnistests unterzogen

Dr. Kim Ko Woon und Kollegen (Klinik der Nationalen Universität Jeonbuk (Jeonbuk National University Hospital), Jeonju, und Samsung Medical Center, Seoul, Südkorea) berichteten, dass die Kontrollpersonen bei den Tests tendenziell signifikant besser abschnitten als die aMCI-Probanden, die wiederum signifikant besser abschnitten als die AD-Probanden (p-Werte < 0,05 und < 0,001): „Interessanterweise zeigten die Ergebnisse der Analyse des durchschnittlichen Bewegungspfades, dass die Kontrollteilnehmer geradewegs auf den Zielpunkt zugingen, während die AD-Patienten bei der Suche nach versteckten Objekten zum Zielpunkt schlenderten. Der in dieser Studie entwickelte VR-Gedächtnistest, der VR zum Erleben von realen Ereignissen einbezieht, zeigt Potenzial, als neuer Gedächtnis-Screening-Test eingesetzt zu werden.“

In den Sitzungen zu Demenz wurde auch ein Bericht über einen potenziellen Antikörper-Biomarker für die kognitive Funktion bei nicht-diabetischen Erwachsenen präsentiert. Glutaminsäure-Decarboxylase 65 (GAD65) ist ein Enzym, das an der Synthese eines essentiellen Neurotransmitters beteiligt ist. Antikörper gegen GAD65 (GAD65Ab) kommen bei Menschen mit Diabetes häufig vor (bei bis zu 80 % der Patienten mit Typ-1-Diabetes in jungen Jahren).

 

„GAD65Ab ist ein prognostischer Faktor für kognitiven Abbau

in der nicht-diabetischen Bevölkerung im mittleren Lebensalter“

Dr. Tsai Chia-Kuang

 

Die Spezialisten führten eine Querschnittsstudie mit 328 Probanden (Durchschnittsalter 49 Jahre) durch, um Zusammenhänge zwischen GAD65Ab-Titern und kognitiven Leistungen bei Erwachsenen mit Diabetes, Prädiabetes und normalen Blutzuckerwerten zu untersuchen.

Dr. Tsai Chia-Kuang (Tri-Service General Hospital, National Defense Medical Center, Taipei, Taiwan) und Kollegen fanden heraus, dass höhere Werte mit einer signifikant schlechteren Leistung im einfachen Reaktionszeittest (Simple Reaction Time Test, SRTT) und im Symbol-Digit-Substitutionstest (SDST) verbunden waren: „Darüber hinaus war GAD65Ab mit kognitivem Rückgang bei Erwachsenen mit normalem Blutzucker und Prädiabetes assoziiert, nach Anpassung für assoziierte Kovariaten [p < 0,05]. Das Vorhandensein von GAD65Ab ist ein prognostischer Faktor für den kognitiven Rückgang in der nicht-diabetischen Bevölkerung im mittleren Lebensalter.“

Referenzen (Demenz):

  • Lin Y-S, et al. Identifying cognitive trajectories and predicting rapid decline of cognitive function in early Alzheimer’s disease. AOCN 2021;B-9
  • Wei Y-C, et al. Local dynamic functional connectivity changes of subjective cognitive decline. AOCN 2021;B-36
  • Fu L-C. The application of AI-based technology in aging globe. AOCN 2021; Sitzung zur künstlichen Intelligenz in der Medizin
  • Woon KK, et al. A virtual reality memory test for assessing visuospatial memory. AOCN 2021;B-46
  • Tsai C-K, et al. GAD65 antibody as a prospective biomarker for cognitive functioning in non-diabetic adults. AOCN 2021;B-1

 

Kopfschmerzen: Highlights des AOCN

Migräne und Kopfschmerzen waren ein Hauptthema des AOCN-Kongresses, der als Teil des wissenschaftlichen Programms die 8. Asiatische Regionalkonferenz zu Kopfschmerz (8th Regional Conference of Headache, ARCH) ausrichtete.

Prof. Tissa Wijeratne (Western Health, Melbourne, Australien) informierte die Teilnehmer über aktuelle und neue Behandlungsstrategien für Clusterkopfschmerz (Cluster Headache, CH), von dem 1 von 1.000 Menschen betroffen ist. Dieser wird häufig von Unruhe begleitet und oftmals durch Alkoholkonsum ausgelöst.

 

„Hervorragende neue Behandlungsmöglichkeiten

sind auf dem Weg [bei Clusterkopfschmerz]“

Prof. Tissa Wijeratne

 

Prof. Wijeratne hob die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten in der Akut- und Übergangsphase sowie zur Vorbeugung hervor, um die Häufigkeit der Anfälle zu reduzieren (siehe Tabelle). Er fuhr fort, neue Behandlungsmethoden zu diskutieren, die vielversprechend sind:

  • Für die akute Phase wurde gezeigt, dass der monoklonale Anti-CGRP(Calcitonin-Gen-verwandtes Peptid)-Antikörper (mAb) Galcanezumab die Häufigkeit von CH-Anfällen im Vergleich zu Placebo potenziell verringert.
  • Für die Übergangsphase deuten vorläufige Hinweise darauf hin, dass mehrere Hirnnervenblockaden funktionieren können, wenn der große okzipitale Nervenblock (GONB) versagt.
  • Für die Präventionsphase ist die Neurostimulation des Ganglion sphenopalatinum vielversprechend, es sind jedoch weitere Studien erforderlich.

 

Behandlungsmöglichkeiten bei Clusterkopfschmerz

 

Akute Phase                              Neurostimulation, Sauerstofftherapie, Triptane

 

Übergangsphase                    großer okzipitaler Nervenblock (GONB), orale Steroide

 

Präventive Therapien               Verapamil, Topiramat, Lithium, Melatonin, Valproat, Gabapentin

 

 

 

Prof. Wijeratne schlug in seinem Vortrag einen optimistischen Ton an und bemerkte, dass, obwohl „CH eine lähmende Kopfschmerzerkrankung ist, es sehr gute akute Behandlungsmöglichkeiten gibt und hervorragende neue Behandlungsmöglichkeiten auf dem Weg sind.“

Der Anti-CGRP-mAb Galcanezumab wurde auch bei Patienten mit behandlungsresistenter Migräne als potenziell wirksam eingestuft. Dr. David Garcia-Azorin (University Clinical Hospital Valladolid, Spanien) präsentierte neue Daten aus einer randomisierten Studie, in der Veränderungen der Arbeitsproduktivität und Aktivität bei 462 Patienten mit episodischer oder chronischer Migräne und Versagen von 2-4 vorherigen Therapien untersucht wurden.

Nach 3 Monaten zeigten mit Galcanezumab behandelte Patienten im Vergleich zu Patienten, die Placebo erhielten, signifikant verbesserte Werte im Fragebogen zur Beeinträchtigung der Arbeitsproduktivität und Aktivität (WPAI):

  • Präsentismus (p = 0,0004)
  • Gesamtbeeinträchtigung der Arbeit (p = 0,0003)
  • Beeinträchtigung nicht-beruflicher Aktivitäten (p < 0,0001)

Dr. Garcia-Azorin sagte: „Migräne ist mit einer reduzierten Arbeitsproduktivität und Einschränkung der Aktivität assoziiert. Dies ist bei Patienten noch stärker ausgeprägt, die für eine Präventionstherapie geeignet sind, jedoch nicht von einer früheren Präventionstherapie profitiert haben.

„In einer Population von Patienten mit episodischer oder chronischer Migräne und einer Vorgeschichte von mehrfacher Erfolglosigkeit des Behandlungsstandards mit prophylaktischen Medikamenten war Galcanezumab bei der Verbesserung der Arbeitsproduktivität gegenüber Placebo überlegen. Dies wurde durch statistisch signifikant größere Reduktionen des Präsentismus, der Beeinträchtigung der Arbeit insgesamt und der Beeinträchtigung der Aktivität nachgewiesen.“

Die effektive Behandlung von Komorbiditäten bei Migräne kann auch die Ergebnisse und die Lebensqualität erheblich verbessern, sagte Prof. Chin-Sang Chung (Samsung Medical Center, Medizinische Fakultät der Sungkyunkwan-Universität (Sungkyunkwan University School of Medicine), Südkorea).

Sein Vortrag hob die Auswirkungen von Komorbiditäten auf die Patienten hervor, die das Risiko einer zunehmenden Kopfschmerzintensität und -häufigkeit signifikant erhöhen. Häufige Komorbiditäten, die dieses Risiko erhöhen (mit Odds Ratios zwischen 1,37 und 3,79), sind Schlaflosigkeit, Depression, Angstzustände, Magengeschwüre, Kreislaufprobleme, Allergien, Epilepsie, Arthritis, Bluthochdruck, Hyperlipidämie, Nierenerkrankungen und Diabetes.

 

„Es ist sehr wichtig, den Migränepatienten über die

Bedeutung von komorbiden Zuständen aufzuklären“

Prof. Chin-Sang Chung

 

Prof. Chung sagte: „Komorbiditäten sind bei Migränepatienten häufig, und sie haben bidirektionale Auswirkungen. Wir müssen sicher sein, dass wir bei der Untersuchung von Migränepatienten, insbesondere beim ersten Besuch, Komorbiditäten erkennen und auf diese achten.“  Er sagte, es sei notwendig, symbiotische therapeutische Strategien einzusetzen, die sowohl die Migräne als auch komorbide Erkrankungen berücksichtigen, und den Einsatz nicht-pharmakologischer Strategien aktiver in Betracht zu ziehen.

„Es ist auch sehr wichtig, den Patienten aufzuklären, damit er die Bedeutung von komorbiden Erkrankungen für die Behandlung seiner Migräne versteht und über kontraindizierte Medikamente Bescheid weiß.“

Das Thema der Komorbiditäten wurde in einer Präsentation neuer Daten aus einer großen Studie zu Lebensstilfaktoren und komorbiden Erkrankungen bei Patienten mit Migräne aufgegriffen. Dr. Yu-Kai Lin (Tri-Service General Hospital, National Defense Medical Center, Taipei, Taiwan) und Kollegen befragten und untersuchten 1.257 Patienten mit Migräne (Alter 20-65 Jahre), die eine Kopfschmerz-Ambulanz in Taiwan besuchten, sowie 496 Kontrollpersonen ohne Migräne.

Die Patienten mit Migräne zeigten signifikant höhere Prävalenzen (alle p < 0,05) von:

  • Medizinisch: Schilddrüsenerkrankung, peptische Ulkuskrankheit, Mitralklappenprolaps
  • Psychiatrisch bedingt: Depression, Angstzustände, Schlaflosigkeit, subjektive Gedächtnisbeschwerden
  • Schmerzbedingt: Fibromyalgie
  • Sonstiges: Reizdarmsyndrom, chronisches Erschöpfungssyndrom, Glaukom

Außerdem zeigten Patienten mit Migräne mit Aura eine höhere Prävalenz eines aktuellen Raucherstatus im Vergleich zu den Kontrollpersonen (15,5 % versus 11,5 %; p < 0,05). Subgruppenanalysen zeigten, dass chronische Migräne, Migräne mit Aura und weibliches Geschlecht im Vergleich zu episodischer Migräne, Migräne ohne Aura und männlichem Geschlecht mit einer größeren Anzahl signifikanter Komorbiditäten verbunden waren

Dr. Yu-Kai Lin sagte: „Aktuelles Rauchen sowie medizinische, psychiatrische und schmerzbedingte Erkrankungen waren bei Patienten mit Migräne im Vergleich zu den Kontrollpersonen häufiger. Das Verständnis des Zusammenhangs zwischen Migräne und komorbiden Erkrankungen kann sowohl die medizinische Versorgung als auch die Lebensqualität verbessern.“

Die Frage der Komorbiditäten – ein heiß diskutiertes Thema auf dem AOCN – wurde mit neuen Erkenntnissen über gemeinsame Muster der funktionellen Konnektivität des Gehirns zwischen Migräne und Schlaflosigkeit weiter erforscht. Dr. Fu-Chi Yang (Tri-Service General Hospital, National Defense Medical Center, Taipei, Taiwan) sagte, dass beides mit Dysfunktionen im Default-Mode-Netzwerk (DMN) assoziiert ist, und berichtete über die Ergebnisse einer Studie zur Identifizierung von veränderten Funktionsmustern von DMN-Subnetzwerken bei der Komorbidität Migräne/Schlaflosigkeit.

 

„Veränderungen in der DMN-Subnetz-Konnektivität können

potentielle Biomarker für Insomnie und Migräne-Komorbidität sein“

Dr. Fu-Chi Yang

 

Er sagte, dass es gemeinsame funktionelle Konnektivitätsveränderungen in Subnetzwerken des dorsomedialen präfrontalen Kortex und des posteromedialen Kortex (Posteromedial Cortex, PMC) gab, vor allem in den motorischen und somatosensorischen Systemen des Gehirns. Außerdem korrelierte die funktionelle Konnektivität zwischen dem PMC und dem postzentralen Gyrus mit der Dauer der Schlaflosigkeit bei Patienten mit komorbider Migräne und Schlaflosigkeit.

Dr. Yang sagte: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Veränderungen in der Konnektivität des DMN-Subnetzwerkes und seine gemeinsamen Muster der regionalen Verteilung potenzielle Biomarker für die Komorbidität von Schlaflosigkeit und Migräne sein könnten und signifikant mit der Pathophysiologie der Komorbidität zwischen den beiden Störungen verbunden sind.“

Referenzen (Kopfschmerzen):

  • Wijeratne T. Cluster headache: established and emerging treatments. AOCN 2021; ARCH-Sitzung.
  • Garcia-Azorin D, et al. Changes in work productivity and interictal burden: results from randomized, double-blind study evaluating galcanezumab in adults with treatment-resistant migraine (CONQUER). AOCN 2021;H-21.
  • Chung C-S. Impact of comorbidity on the treatment and prognosis of headache disorders (migraine). AOCN 2021; ARCH Sitzung.
  • Lin Y-K, et al. Prevalence and association of lifestyle and medical-, psychiatric-, and pain-related comorbidities in patients with migraine. AOCN;H-4.
  • Yang F-C, et al. Shared patterns of brain functional connectivity for the comorbidity between migraine and insomnia. AOCN 2021;H-2.

 

Sonstige Gebiete der Neurologie: Highlights des AOCN

Von KI in der Neuroradiologie, bei Schlaganfall und Parkinson-Krankheit bis hin zu den Auswirkungen der langfristigen Einnahme von Hypnotika/Sedativa gab es eine Fülle von wichtigen Themen, die auf dem AOCN 2021 diskutiert wurden. Dieser letzte Abschnitt des Berichts enthält Kommentare von Prof. Antony Dickenson (University College, London, UK), der einige der wichtigsten Präsentationen identifizierte:

Das Thema KI, das in den Sitzungen zu Demenz diskutiert wurde, war auch an anderen Stellen der Konferenz eine Art roter Faden. Prof. Greg Zaharchuk (Stanford University, Kalifornien, USA) gab einen Überblick über den Einsatz von KI und Deep-Learning in der Neuroradiologie und stellte fest: „KI-Ansätze werden es uns ermöglichen, Dinge in der Neuroradiologie besser zu machen als bisher, aber auch Dinge, die völlig neu und hilfreich sind.“

 

„Durch das Vorhersagen der Zukunft wird

die KI eine personalisierte Behandlung ermöglichen“

Prof. Greg Zaharchuk

 

Er nannte Verbesserungen bei der Scanzeit, der Auflösung und der Sicherheit. Außerdem kann sie eine modalitätsübergreifende Synthese ermöglichen. Der zerebrale Blutfluss und die Amyloid-Ablagerung werden am besten durch PET abgebildet, was jedoch schwierig und teuer sein kann; KI verbessert die Möglichkeit der MRT, diese Parameter genau zu erfassen. Prof. Zaharchuk schloss: „Durch das Vorhersagen der Zukunft wird die KI eine personalisierte Behandlung ermöglichen.“

Prof. Dickenson kommentierte: „Dr. Zaharchuk gab einen denkwürdigen Überblick über die Themen, die sich auf die Nutzung von Deep-Learning konzentrieren, um das Fortschreiten einer Störung zu messen – nicht nur zu schauen, was jetzt passiert, sondern was als Nächstes passieren könnte. Zu den Vorteilen der KI gehören die Verwendung von sichereren, niedrigeren Strahlungsdosen, kürzere Scans und auch eine bessere Interpretation der Daten, wodurch die Radiologen wertvolle Zeit gewinnen. Der wichtige Punkt, dass KI die MRT verbessert und so die Notwendigkeit von PET für die Untersuchung von Blutfluss und Amyloidablagerungen umgeht, ist ein guter Ansatz.“

Welche Rolle spielt KI in der akuten Schlaganfallversorgung? Prof. David Liebeskind (Universität Kalifornien (University of California), Los Angeles, USA) sagte, dass das Potenzial groß sei, es aber noch wichtige Themen und Fragen zu klären gäbe. In seinem Vortrag auf dem AOCN bemerkte Prof. Liebeskind: „Wir müssen die Bildgebung nutzen können, um zu bestimmen, was für einen einzelnen Patienten am besten ist. Wir behandeln nicht 20 Patienten auf einmal; normalerweise behandeln wir jeweils nur 1 Patienten. Wir müssen wissen, wie wir diese Informationen am besten nutzen können, um sie in die beste Therapie für diesen Patienten umzusetzen.“

 

„Mit dem Einsatz von KI, um mehr Informationen aus einem Scan herauszuholen,

können wir diesem Ziel ein großes Stück näher kommen“

Prof. Antony Dickenson

 

Er fügte hinzu: „Was sind die wichtigsten Informationen bei einem akuten Schlaganfall? Ist es die Stelle des Gefäßverschlusses, das Perfusionsmuster oder ein anderes Merkmal? Automatisierte Ansätze können Antworten geben, aber die bessere Frage ist, ob das die Antworten sind, die wir haben wollen und die am informativsten sind.“

Prof. Dickenson kommentierte: „Dr. Liebeskind weist auf einige wichtige Vorbehalte hin, wie z. B. die Notwendigkeit, eine zu starke Vereinfachung zu vermeiden, aber wie Dr. Zaharchuk in der vorherigen Präsentation weist auch er darauf hin, dass die KI in der Lage ist, eine stärker personalisierte Behandlung für Patienten anzubieten. Mit dem Einsatz von KI, um mehr Informationen aus einem Scan herauszuholen, können wir diesem Ziel ein großes Stück näher kommen. Schließlich ist es entscheidend, die richtigen Fragen zu stellen, und die Präsentation gibt Beispiele dafür, welche Informationen am wichtigsten sein können.“

Eine praktische Umsetzung von KI bei Morbus Parkinson (Parkinson’s Disease, PD) lieferte Dr. Ming-Che Kuo (Uniklinik der Nationalen Universität Taiwan (National Taiwan University Hospital), Taipei), der die Entwicklung und Erprobung einer tragbaren KI-gestützten Plattform zur Erkennung von Gangstörungen bei PD beschrieb.

Dr. Kuo sagte: „Wir haben einen patientenorientierten, benutzerfreundlichen, portablen, erschwinglichen und einfach zu bedienenden Ganganalysator entwickelt. Er ermöglicht quantitative Messungen von Gangmerkmalen und -mustern als digitale Biomarker von PD. Die DIGIPose-Plattform kann insbesondere in der Ära der COVID-19-Pandemie das präklinische Screening, die klinische Beurteilung, die Überwachung zu Hause und die Fernüberwachung unterstützen.“

Dr. Kuo berichtete, dass Patienten mit PD im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen eine reduzierte Schrittlänge, Schrittbreite und Schrittdauer aufwiesen (alle p < 0,001). Es wurde ein Vorhersagealgorithmus entwickelt, der den Gang von PD-Patienten und gesunden Kontrollpersonen mit hoher Klassifikationsgenauigkeit (0,73), f1-Score (0,71) und Fläche unter der Kurve (AUC, 0,76) unterscheiden konnte.

Prof. Dickenson kommentierte: „Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Fortschritte in der Diagnose und Behandlung von medizinischen Erkrankungen nicht nur im Forschungskontext verbleiben. Dr. Kuo und Kollegen haben über ein tragbares Gerät berichtet, das Gangparameter bewertet und Algorithmen zur Vorhersage des Gangs bei PD-Patienten verwendet. Die Verwendung von Videos von Patienten, die auf der Plattform laufen, zeigte eine hohe Genauigkeit und könnte in Zeiten von COVID-19 natürlich sehr hilfreich bei der Fernbeurteilung von Patienten sein.“

Inzwischen wurde hervorgehoben, dass die familien-/triobasierte vollständige Genomsequenzierung (Whole Genome Sequencing, WGS) eine wichtige Rolle bei der genetischen Diagnose von Epilepsie spielen wird. Dr. Yo-Tsen Liu (Neurologisches Institut, Taipei Veterans General Hospital, Taiwan) berichtete über Daten aus einer Studie zur Familien-/Trio-basierten WGS (typischerweise ein Trio aus Mutter, Vater und Kind).

Die WGS identifizierte die genetische Ätiologie bei 42 von 55 nicht verwandten Patienten mit Verdacht auf eine genetisch bedingte Epilepsie (Trefferquote 76,4 %), darunter sieben Patienten mit einer berichteten pathogenen Variante und 35 Patienten mit einer neuartigen Variante, die pathogen oder wahrscheinlich pathogen war. Die Trefferquote war am höchsten (82,4 %) in der Gruppe der früh einsetzenden Epilepsie. Unter den 42 diagnostizierten Fällen wurden drei (7,1 %) Kopienzahlvariationen (Copy Number Variations, CNV) ermittelt.

 

„Unsere Ergebnisse unterstützen die einflussreiche Rolle der Trio-basierten WGS bei der genetischen Diagnose der Epilepsie.“

Dr. Yo-Tsen Liu

 

Dr. Liu merkte an: „Unsere Ergebnisse unterstützen die einflussreiche Rolle der Trio-basierten WGS bei der genetischen Diagnose der Epilepsie, insbesondere der früh einsetzenden Epilepsie. Dies ist außerdem die erste Studie, welche über die Anwendung der WGS bei pharmakoresistenter Epilepsie berichtet. Die unverzerrte WGS kann eine signifikante Anzahl von Kopienzahlvariationen aufdecken, wie in unserer Kohorte gezeigt wurde.

„Künftig wird die Anwendung der WGS in der klinischen Diagnose der Epilepsie die Unterstützung von erfahrenen Epileptologen und umfassende klinische Informationen benötigen, damit wir sehr gute klinische Genotyp- und Phänotyp-Korrelationen etablieren können. Es ist auch wichtig, genomische Daten zu akkumulieren.“

Schließlich identifizierten neue Forschungsergebnisse, die auf dem AOCN 2021 vorgestellt wurden, zusätzliche Mortalitätsrisiken im Zusammenhang mit langfristiger Einnahme von Hypnotika/Sedativa bei Menschen mit Kurz- oder Langzeitschlaf. Dr. Yu Sun (En Chu Kong Hospital, New Taipei City, Taiwan) präsentierte Ergebnisse einer Studie, in der Daten von 484.916 Erwachsenen analysiert wurden, die von Januar 1994 bis Dezember 2011 in einem Gesundheitsscreening-Programm rekrutiert wurden.

Die wichtigsten Erkenntnisse waren folgende:

  • Probanden mit extrem kurzer (< 4 Stunden; HR 1,36) oder langer (≥ 8 Stunden; HR 1,26) Schlafdauer hatten ein um 30 % erhöhtes Mortalitätsrisiko, was einer um 3–4 Jahre reduzierten Lebenserwartung entspricht, wodurch ein U-förmiger Zusammenhang entsteht
  • Die Lebenserwartung der Anwender von Hypnotika/Sedativa mit extrem kurzer, kurzer, mittlerer oder langer Schlafdauer war im Vergleich zu den Nichtanwendern mit 6-7 Stunden Schlaf um 12,6, 6,7, 5,2 bzw. 12,6 Jahre reduziert

Dr. Sun sagte: „Die Schwere des Verlusts von Lebensjahren bei chronischen Anwendern von Hypnotika/Sedativa stand im Missverhältnis zu den Vorteilen. Strategien zur Erhöhung des Bewusstseins der Öffentlichkeit für das Konzept dieser medikamenteninduzierten Schäden sind erforderlich.“

 

„Die Ergebnisse sind bemerkenswert,

die Studie ist ein starkes abschreckendes Beispiel“

Prof. Antony Dickenson

 

Prof. Dickenson kommentierte: „Dr. Sun präsentiert die Daten einer Studie mit einer riesigen Anzahl von Teilnehmern, fast eine halbe Million, in der die Auswirkungen einer verlängerten Einnahme von Sedativa/Hypnotika untersucht werden. Die Patienten wurden anhand ihrer Schlafdauer geschickt in Gruppen eingeteilt und die Ergebnisse sind bemerkenswert. Es gingen Jahre der Lebenserwartung verloren, und dies war faszinierenderweise am deutlichsten bei denjenigen mit extrem kurzer oder extrem langer Schlafdauer, bei denen über ein Jahrzehnt verloren gehen konnte.

„Die zugrundeliegenden Mechanismen dieser Interaktion sind mir unklar, müssen aber mit den pharmakologischen Wirkungen der Medikamente zusammenhängen, die interagieren und das Risiko innerhalb dieser beiden Gruppen erhöhen, vermutlich durch eine weitere Störung der Schlafarchitektur. Patienten in diesen Gruppen können natürlich auch andere zugrundeliegende Gesundheitsprobleme aufweisen, aber die Studie ist ein starkes abschreckendes Beispiel.“

Referenzen (sonstige Neurologiegebiete):

  • Zaharchuk G. Artificial intelligence in neuroradiology: current status and future directions. AOCN 2021; Sitzung zur künstlichen Intelligenz in der Medizin.
  • Liebeskind D. Incorporated artificial intelligence in acute stroke care. AOCN 2021; Sitzung zur künstlichen Intelligenz in der Medizin.
  • Kuo M-C, et al. Gait assessment of Parkinson disease by an AI-assisted 3D camera system. AOCN 2021;C-3.
  • Liu Y-T, et al. The contribution of whole genome sequencing to genetic diagnosis of epilepsy: the experience of a tertiary referral center in Taiwan. AOCN 2021;G-13.
  • Sun Y, et al. Hypnotics/sedatives users were associated with up to 8 years of shortening of life expectancy in a prospective cohort of 484,916 adults. AOCN 2021;N-7.